Ein wichtiger Baustein unseres Ansatzes ist das Salutogenese-Modell von Aaron Antonovsky. Es wurde ursprünglich im medizinisch-gesundheitlichen Bereich als Gegenstück zur sogenannten Pathogenese formuliert. Antonovsky bemängelte an der weit verbreiteten Pathogenese die Fokussierung auf die Krankheit und beschäftigte sich in seinem Ansatz vielmehr mit lösungsorientieren Fragestellungen. Er stellte Überlegungen dazu an, wie man Menschen helfen könne gesünder zu werden und hinterfragte, wie Gesundheit überhaupt entstehe.
Die Hinwendung zu gesundheitsfördernden Aspekten wird bereits in der Wahl des Modellnamens deutlich. Das Wort „Salus“ kommt aus dem Lateinischen und wird mit „Gesundheit“ übersetzt. „Genese“ entstammt dem Griechischen und bedeutet so viel wie „die Entstehung von“, sodass „Salutogenese“ am besten mit der „Entstehung von Gesundheit“ übersetzt werden kann.
In seinem Modell betrachtet Antonovsky Gesundheit nicht als statischen Zustand, sondern als einen Prozess. Die Zustände „gesund“ und „krank“ bilden dabei die Endpunkte eines Kontinuums, die nie vollständig erreicht werden können. „Vollständig krank“ wäre nach Antonovsky mit dem Tod gleichzusetzen. Solange ein Mensch aber noch lebt, verfügt er über gesunde Anteile, die genutzt werden können. Antonovsky betrachtet diese Anteile des Menschen als Ressourcen, die es zu stärken und zu fördern gilt. Darüber hinaus formuliert Antonovsky die Notwendigkeit, den Menschen ganzheitlich zu betrachten und alle Bereiche, wie Ernährung, Lernverhalten, Bewegung, Freizeit, Sozialverhalten etc., mit einzubeziehen.
Im Rahmen seiner Forschungen erkannte Antonovsky, dass verschiedene Menschen ähnliche traumatische Erfahrungen sehr unterschiedlich verarbeiten und die Erfahrungen divergierende Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Betroffenen haben. Er identifizierte das sogenannte Kohärenzgefühl (sense of coherence = soc) und stellte fest, dass dieses für die erlebte Gesundheit des Einzelnen besonders relevant ist. Kohärenz ist hier mit „in sich zusammenhängend“ oder „in sich stimmig sein“ zu übersetzen. Des Weiteren beobachtete Antonovsky, dass die drei folgenden Persönlichkeitsmerkmal für das individuelle Kohärenzgefühl ausschlaggebend sind:
⇒ Verstehbarkeit
⇒ Handhabbarkeit
⇒ Bedeutsamkeit / Sinnhaftigkeit
Die Verstehbarkeit gibt an, inwieweit die jeweilige Person über ein adäquates Modell der Welt verfügt und in der Lage ist, Erlebnisse in dieses Modell einzusortieren. Die Verstehbarkeit von traumatisierten Menschen ist sehr gering, da ihr Modell der Welt durch das traumatische Erlebnis weitestgehend zerstört wurde.
Die Handhabbarkeit gibt an, ob die jeweilige Person über eigene Ressourcen (Fähigkeiten und Strategien) verfügt und sich dieser Ressourcen bewusst ist. Die Handhabbarkeit von traumatisierten Menschen ist relativ gering, da sie sich nur einzelner Ressourcen bewusst sind und diese als übergeneralisierendes Verhaltensmuster in nahezu jedem Kontext anwenden.
Die Bedeutsamkeit gibt an, inwieweit die jeweilige Person motiviert ist, in verschiedenen Lebensbereichen mit Schwierigkeiten umzugehen und diese zu meistern. Das Kohärenzgefühl traumatisierter Menschen ist sehr gering.
Wir verfolgen in unserer Arbeit im Jean-Itard-Zentrum für Erziehung und Therapie / Kinder- und Jugendtherapeutikum einen ganzheitlichen Ansatz, der auf eine allseitige Ressourcenstärkung abzielt. Dabei greifen wir auf Aspekte des Konzeptes der Salutogonese zurück, weil die Salutogonese auf eine Stärkung des Kohärenzsinns der Kinder und Jugendlichen ausgerichtet ist und zur Stressbewältigung beiträgt. Weitere Informationen dazu finden Sie in dem als Buch erschienenen Konzept „Jean-Itard-Zentrum – Ein pädagogisches Konzept für traumatisierte Kinder und Jugendliche“ von Jochen Sprenger.